Wenn ich bei Vorträgen und Workshops Teilnehmer aus Unternehmen herausfordern möchte, werfe ich in den Raum, dass Geschwindigkeit vielleicht nicht alles ist. Die Blicke sagen mir dann, dass ich wohl gerade etwas nahezu Blasphemisches geäußert habe. Um bei der digitalen Transformation aufzuholen, geben viele Unternehmen die Prämisse „Wir müssen viel schneller werden“ aus. Das ist verständlich. Die Transformation wird vor allem über ihre Beschleunigung erlebt. Andere Aspekte wie Komplexität sind schwerer wahrnehmbar, geschweige denn beantwortbar.
„Move fast and break things“
Mehr und mehr lassen sich inzwischen aber auch die Kosten der Fokussierung auf Geschwindigkeit beobachten: Von Facebook, das nicht so recht weiß, wie es auf den „Missbrauch“ seiner Plattform reagieren soll, bis zur massiven Zunahme von Hacks, Leaks und weiteren Cyber-Security-Themen. Wir sehen die Konsequenzen von „Move fast and break things“ und genau deswegen hinterfrage ich bewusst den Geschwindigkeitsfetisch.
Genau darum geht es bei Themen wie Responsive Innovation. Wenn ich das Konzept in Vorträgen vorstelle, kommt meist die Rückfrage „Aber werden dadurch nicht Innovationen gebremst?“ Ja, genau darum geht es. Wir müssen den Prozess bewusst verlangsamen, um den möglichen Konsequenzen und Auswirkungen mehr Beachtung zu schenken.
Regulierung von Innovation ist normal
Der Sicherheitsexperte Bruce Schneier weist darauf hin, dass das Bremsen von Innovation in anderen Bereichen ganz normal ist:
We chill innovation in things like drug development, aircraft design, and nuclear power plants because the cost of getting it wrong is too great. We’re past the point where we need to discuss regulation versus no-regulation for connected things; we have to discuss smart regulation versus stupid regulation.
Man stelle sich vor: Jemand würde fordern, bei der Entwicklung von Medikamenten die umfangreichen Tests und Freigabebedingungen wieder abzuschaffen, weil sie die Pharma-Innovationen bremsen würden. Im Bereich der digitalen Technologien wird häufig immer noch so argumentiert. Das weist für mich daraufhin, dass an vielen Stellen nach wie vor das Verständnis für die Rolle dieser Technologien in unserer Gesellschaft fehlt.
Gleiches gilt für viele Digital-Enthusiasten in Deutschland. Sie fordern immer wieder, dass die Politik schneller werden müsse, um mit der technologischen Entwicklung mitzuhalten. Aus meiner Sicht ist es gerade die Aufgabe der Politik, hier ein stückweit zu bremsen und sicherzustellen, dass die Interessen von und Auswirkung für verschiedene Teile der Gesellschaft betrachtet werden.
All das soll keine Ausrede für deutsche Unternehmer wie Politiker sein, sich auf die faule Haut zu legen und abzuwarten. Im Gegenteil, statt die Digitalisierung zu ignorieren oder ihr blind hinterherzurennen, fordere ich uns alle bewusst heraus, noch tiefer über diese Themen nachzudenken, sie zu analysieren und alternative Herangehensweisen zu entwickeln.
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