„Wir müssen uns darauf einstellen, nicht mehr ein Berufsleben lang nur für einen Arbeitgeber zu arbeiten oder sogar nur einen Beruf auszuführen.“ Diese Aussage liest man so oder in ähnlicher Form in den letzten Jahren immer wieder, wenn es um die Veränderungen in der Arbeitswelt geht. Was das in der Realität bedeutet, können sich die meisten, die diese Aussage von sich geben, wahrscheinlich gar nicht wirklich ausmalen. Wer in den letzten Jahren aus der Ausbildung/dem Studium in „den Beruf“ eingestiegen ist, hat live diesen Wandel mitbekommen und ist in der Regel Teil der Generation Praktikum. Wie deren Lebensalltag aussieht hat Nikola Richter nun ausführlich in ihrem Buch „Die Lebenspraktikanten.“ beschrieben.
Das Buch beschreibt in Episoden das Leben von einigen jungen Menschen, die alle ihr Studium beendet haben und versuchen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Sie machen Praktika, wo immer sie können. Sie reisen für Jobs um die ganze Welt. Sie sind für jede kurzzeitige Stelle dankbar. Sie sind Experten in der Gestaltung ihres Lebenslaufs, im Networking und im Anpassen. Helfen tut ihnen das alles nichts. Die Personen und die konkreten Geschichten sind Fiktion, soweit ich das verstanden habe, aber ihnen liegen die wahren Erlebnisse von Richter und ihrer Generation zu Grunde.
Das Buch liest sich nicht wirklich wie ein spannender Roman oder ähnliches. Dafür sind die Charaktere und Geschichten viel zu sehr darauf getrimmt, die Merkmale und typischen Erlebnisse der Lebenspraktikanten zu vermitteln. Das Buch will nicht unterhalten, es will ein aufrüttelndes Bild vom Leben der Berufseinsteiger malen.
Man fühlt sich während des Lesen die ganze Zeit irgendwie unwohl und unruhig. Mir schwebten ständig die Fragen im Kopf herum „Warum lasst ihr das mit euch machen? Warum steigt ihr nicht aus?“ Insofern ist das Buch quasi die Einführung oder Episode 1 von „Wir nennen es Arbeit“ (Holm Friebe, Sascha Lobo), weil es sehr emotional vermittelt, wovon sich die digitale Bohème abgewendet hat. In dem Zusammenhang fällt mir auf, dass es wahrscheinlich ein ideales Geschenk für die Eltern von Berufseinsteigern oder -aussteigern ist, um ihnen ein reales Bild vom heutigen Berufsleben der Generation Praktikum zu vermitteln, dass doch deutlich anders aussieht als zur Zeiten der Eltern und das diese deswegen meist nur schwer nachvollziehen können.
Als ich gestern die letzten Kapitel las wurde mir endlich klar, was mich schon die ganze Zeit unbewusst störte: keiner der Protagonisten wurde von irgendeiner Leidenschaft oder Berufung angetrieben, die sie gerne im Beruf ausleben würden. Niemand hatte eine Vision, für die er sich begeistern konnte, etwas, dass ihn ausmacht und von der Masse unterscheidet. Es scheint so, als wären alle individuellen Wünsche und Träume in der langen Zeit von Schule und Studium ausgemerzt worden. Hauptsache man funktioniert im System. Alle sind Experten im Präsentieren, Recherchieren, Computer bedienen, Protokollieren, Telefonieren, Organisieren und Koordinieren aber niemand hat ein Spezialthema oder besonderes persönliches Interesse. Und das scheint bewusst so zu sein, denn so etwas würde einen für mehr Jobs disqualifizieren als für andere Jobs aus der Masse herauszuheben. So werden eigene Interessen, die über eine bestimmte Tätigkeit hinausgehen, aus dem eigenen Profil ausgemerzt.
Wahrscheinlich habe ich das erst so spät im Buch begriffen, weil ich halt zuerst Wir nennen es Arbeit gelesen habe und damit schon die ganze Zeit eine Lösung parat hatte, die sich den Charakteren aber gar nicht bietet, weil ihnen die Vorstellung davon etwas eigenes zu machen komplett fehlt.
Im Moment befinden wir uns mitten im Wandel vom alten Berufsbild zum neuen. Das Ergebnis ist die Generation Praktikum, die noch nach dem alten Bild ausgebildet wurde, aber schon nach dem neuen Bild funktionieren muss. Wie das praktisch aussieht lässt sich bei den Lebenspraktikanten anschaulich nachlesen. Die Frage ist, wo das in näherer Zukunft hinführt. Wie lange werden die Berufseinsteiger noch mitspielen/sich ausbeuten lassen? Wieviele werden irgendwann aussteigen und ihr eigenes Ding machen? Wie lange kann unsere Wirtschaft noch so funktionieren?
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