Johannes Kleske

Zukünfte verstehen und gestalten

Zukünfte anders erzählen –Warum Worte Welten verändern

Keynote Speaker Johannes Kleske beim Science Slam in Karlsruhe

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Das ist mein Beitrag vom Science Slam in Karlsruhe am 24. Januar 2025.

Die autofreie Stadt … ist eine negative Zukunft!

Na toll, noch so ein SUV-fahrender Benzin-Junkie. Ja, richtig: Ich bin’s, Christian Lindner! Nein, ich bin eigentlich eher grün, wohne im Prenzlauer Berg und habe erst letztes Jahr meinen Führerschein gemacht. Ich bin ein großer Fan davon, Autos aus unseren Städten zu verbannen. Aber ich bleibe dabei: Die autofreie Stadt ist eine negative Zukunft. Das habe ich vor fünf Jahren gelernt.

Kurz zum Kontext: Ich bin zum einen kritischer Zukunftsforscher. D.h. ich beschäftige mich mit der Rolle von Zukünften in Gesellschaft, Arbeit und Politik. Außerdem berate ich Organisationen und Unternehmen dabei, in Zukunft gut dazustehen, indem sie in der Gegenwart bessere Entscheidungen treffen. Ein Teil dieser Arbeit besteht darin, wünschenswerte Zukünfte zu entwickeln, die als Leitstern dienen.

Foto von der Tagung der leitenden Führungskräfte Karlsruhes im Jahr 2020. Es spricht der OB.

Vor fünf Jahren habe ich mit dem Karlsruher Oberbürgermeister und den leitenden Führungskräften der Stadt zusammen gesessen, um ihre Vision für Karlsruhe im Jahr 2030 zu entwerfen. Aber sich eine wünschenswerte Zukunft vorzustellen, ist harte Arbeit. Und so habe ich ihnen einige typische Zukunftsvisionen angeboten, um ihnen zu helfen, ihre Zukunftsmuskeln aufzuwärmen. 

Folie aus einer Präsentation mit dem Titel ‚Die „autofreie Innenstadt“‘ und einem Bild von einer Fußgängerzone

Und so zeigte ich ihnen diese Folie. Ich konnte sofort spüren, wie die Energie aus dem Raum gesaugt wurde. Sicher, einige waren wirklich begeistert. Aber einige waren einfach nur müde, weil dies seit einigen Jahren eine anhaltende Debatte in den Stadtverwaltungen war. Andere, die Autoliebhaber im Raum, hielten mit bekannten Gegenargumenten dagegen: „Ich wohne außerhalb der Stadt“, „Ich muss schnell von Sitzung zu Sitzung“, usw. 

Die Sache ist die, dass die „autofreie Stadt“ von ihren Befürwortern wie mir als wünschenswerte Zukunft vorgeschlagen wird. Wir sehen sie als Utopie. Und wir können beim besten Willen nicht verstehen, warum es so viel Widerstand dagegen gibt. 

Aber in diesem Raum im Jahr 2020 machte es bei mir Klick. Schaut euch noch einmal diese Zukunft an. „Die autofreie Innenstadt“. Sie reagiert auf ein Problem in der Gegenwart: all diese Autos, die Staus, Umweltverschmutzung, Unfälle, Lärm verursachen. Und sie schlägt vor, die Autos wegzunehmen, um das zu lösen. Das bedeutet, dass wir auf etwas verzichten müssen. 

Folie mit „Die „autofreie Innenstadt“ ist eine negative Zukunft, weil sie sich auf das fokussiert, was wir verlieren!“

Die „autofreie Stadt“ ist eine negative Zukunft, weil sie sich auf das fokussiert, was wir verlieren. Das ist Veränderung und wir Menschen mögen das nicht. Veränderung bedeutet Unsicherheit. Sie bedeutet Risiko. Sie bedeutet, nicht zu wissen, wie mein Leben in Zukunft ohne Auto aussehen könnte. Und so wehren wir uns und leisten Widerstand. Ich meine, seht euch das Bild an, das ich für diese Folie ausgewählt habe. Sicher, dort gibt es keine Autos. Aber niemand denkt: „In DIESER Zukunft möchte ich gerne leben!“

Folie mit ‚Die „lebendige Innenstadt“ und einem Bild voller Bäume, Wiesen und hölzernen Pavillons

Aber wie wäre es mit dieser? Lasst mich euch ein anderes Bild malen. Was wäre, wenn unsere Städte mit den Klängen von Gelächter und Gesprächen zum Leben erweckt würden? Stellt euch Straßen mit Bäumen vor, in denen die Luft frisch und sauber ist, das sanfte Plätschern von Springbrunnen, das sich mit dem Spiel der Kinder vermischt. Stellt euch vor, ihr sitzt in einem Straßencafé, der Duft von frischem Kaffee liegt in der Luft (ich bin ein bisschen ein Kaffee-Nerd). Straßenmusiker treten auf, während sich die Nachbarn zu einem spontanen Tanz versammeln. An den Wochenenden verwandeln sich diese Plätze in lokale Märkte, Yogakurse im Freien oder Gemeindefeste. Die Stadt wird zu eurem erweiterten Wohnzimmer – ein Ort, an dem ihr einfach nach draußen gehen und Teil von etwas Lebendigem und Pulsierendem werden könnt. Spürt ihr, wie sich die Energie verändert, während ich dies beschreibe? Plötzlich stellt sich die Frage: „Wie kommen wir DORTHIN?“

Es ist immer noch dieselbe Zukunft! Aber es ist eine andere Art, darüber zu sprechen. Die „autofreie Stadt“ beschreibt, wie wir uns von der Gegenwart in die Zukunft bewegen, indem wir etwas wegnehmen. Die „lebendige Stadt“ beschreibt, was wir in einer gewünschten Zukunft zuerst gewinnen, und dann können wir darüber nachdenken, wie wir dorthin gelangen. Die Reduzierung von Autos wird zu einer logischen Konsequenz, anstatt im Mittelpunkt zu stehen. So verändert man die Erzählung über die Zukunft. Beschreibe zuerst die Auswirkungen und dann den Prozess, der erforderlich ist, um dorthin zu gelangen. 

Erst die Wirkung, dann der Veränderungsprozess

Zukünfte – die Vorstellungen in unseren Köpfen, unsere Annahmen, Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen über die Zukunft – all sie sind nichts anderes als Geschichten, die wir uns erzählen. Und diese Geschichten üben eine enorme Kraft auf uns aus. Der Zukunfsforscher Fred Polak hat bereits in den 50er Jahren die These aufgestellt, dass es unsere Zukunftserwartungen sind, die unsere Entscheidungen am maßgeblichsten prägen. Und deswegen sind sie so umkämpft. Wer die beste Geschichte über die Zukunft erzählt, hat die besten Chancen, dass sie auch eintritt. Deswegen hören wir die Tech-Konzerne ihre KI-getriebenen Zukünfte propagieren. Erst Anfang dieser Woche haben wir Trump erlebt, wie er eine Zukunft erzählt hat. Und aus seiner Sicht und der Sicht derer, die ihn gewählt haben, ist es eine wünschenswerte Zukunft. Was setzen wir dem entgegen?

Wenn wir keine eigenen Zukunftsbilder haben, heißt das in der Regel, dass wir in der wünschenswerten Zukunft von jemand anderem agieren. Und wenn wir als Politiker, Aktivisten, Manager, Bürger unsere wünschenswerten Zukünfte negativ formulieren, erzeugen wir Gegenwind statt Begeisterung. 

Hier, zu Beginn des Jahres 2025, in einer Zeit, die oft als Polykrise oder Permakrise bezeichnet wird, verlangen die Menschen um uns herum, unsere Gesellschaft, unser Planet nicht nach mehr Analysen dessen, was falsch läuft. Sie verlangen keine detaillierten Wege des Wandels. Sie stellen uns eine einfache Frage: „Kannst du mir von einer Zukunft erzählen, an der ich teilhaben möchte?“

Folie mit „Erzähl mir von einer Zukunft, bei der ich dabei sein will.“

Was ist deine Antwort? Machen wir uns an die Arbeit …

PS: Wer einen ähnlichen Impuls sucht, um das eigene Team oder die eigene Organisation zum Nachdenken über Zukunftsnarrative anzuregen – sei es bei einem Strategiemeeting, Teamworkshop oder Firmenevent – kann sich gerne an mich wenden.


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