Zukünfte verstehen und gestalten

Umgang mit der Informationsflut


Ich erwecke wohl hin und wieder den Eindruck, dass ich ganz gut mit der Informationsüberflutung zurecht komme, weswegen immer mal wieder die Frage in meiner Inbox landet, wie ich das denn eigentlich machen würde. Dazu zwei Punkte: ein philosophischer und ein praktischer.

How I stopped worrying and love the informationflow

Die Zeiten, in denen man immer bei allen Themen „on top“ sein konnte, sind vorbei. Es mag sein, dass es früher mal so war, dass man morgens die Tageszeitung durchgescannt hat und danach über alles wichtige informiert war. Das ist heute nicht mehr möglich. Dafür gibt es einfach zu viele Themen und zu jedem Thema zu viele Informationen. Das ist nun wahrlich keine große Erkenntnis, aber wohl doch eine, die wir erst verinnerlichen müssen.

Wenn ich in einem Vortrag ein Beispiel für aktuelle Verhaltensänderung, basierend auf neuen Technologien bringe, dann meistens das des Wechsels vom „Briefkasten“ zum „Fluss“ in unserem Umgang mit Informationen. Wir kommen daher, Informationen so zu verarbeiten, wie wir mit unserem Briefkasten umgehen. Wenn wir ihn öffnen, leeren wir ihn komplett und arbeiten alle neuen Eingänge durch. Das Prinzip hat auch lange mit Email-Programmen, Feedreadern, Twitter und anderen Diensten funktioniert. Aber inzwischen ist es in der Regel so, dass ständig so viel neues in unseren Eingangskörben landet, dass wir nicht mehr hinterher kommen. Es ist ein ständiger Fluss von Informationen geworden, der nie mehr abreißt. Deswegen ist das wichtigste Prinzip nach meiner Erfahrung im Umgang mit Informationen, den Anspruch abzulegen, alles mitbekommen zu wollen und „on top“ zu sein. Ich muss meine Angst überwinden, etwas zu verpassen. Das ist für mich eine essentielle Fähigkeit im 21. Jahrhundert und wahrlich eine, die mir nicht leicht fällt. Das Interesse am Neuen ist eine der treibendsten Kräfte in meinem Leben.
Praktisch bedeutet dieser Ansatz z.B., dass ich bei weitem nicht mehr alles lese, was meine Kontakte auf Twitter schreiben. Die Anzeige der ungelesenen Artikel im Feedreader habe ich auch schon lange ausschalten. Stattdessen behandle ich den ständigen Informationsfluss als genau solchen: einen Fluss, in den ich immer wieder hineingreife und per Zufallsprinzip schaue, was es gerade so interessantes gibt.

Dabei lasse ich mich von Aggregatoren und Kuratoren unterstützen. Aggregatoren sind Dienste, die mit Algorithmen den Informationsfluss auswerten und z.B. besonders häufig genannten Links herausfischen (Beispiele: Rivva, Techmeme). Sie verschaffen einen guten Überblick, was eine bestimmte Gruppe von Menschen gerade interessant findet. Kuratoren wiederum sind einzelne Leute mit einer starken Kompetenz in einem bestimmten Bereich, die aus ihrem Informationsfluss die interessantesten Inhalte auswählen und aufbereiten (Beispiel: Brainpickings, wejetset). So helfen mir Mensch (Kuratoren) und Maschine (Aggregatoren), sowie eine entspannte Grundhaltung und Serendipity (ein wunderbarer, Englischer Begriff, der sich leider kaum übersetzen lässt) beim Umgang mit der Informationsflut.

Tool-Time

Die zwei Tools, die mir derzeit am meisten im Umgang mit Informationen helfen, sind Summify und Instapaper. Summify ist ein persönlicher Aggregator. Es wertet aus, welche Links meine Kontakte auf Twitter und Facebook sowie die Feeds in meinem GoogleReader-Account posten und schickt mir zwei mal am Tag eine Mail mit den zehn am häufigsten genannten. Damit bin ich selbst in sehr stressigen Zeiten mit wenig Zeit für Informationsaufnahme nach dem Scrollen durch eine Email informiert, was mein Umfeld gerade am meisten beschäftigt. Seit kurzem gibt es Summify auch als iPhone-App und seit gestern beherrscht diese auch endlich die Verknüpfung zu Instapaper.

Instapaper erlaubt einem, interessante Artikel im Web in eine Liste zu speichern, wenn man gerade keine Zeit hat sie zu lesen. Diese Liste lässt sich dann im Browser sowie auf iPhone und iPad (Möglichkeiten für Android gerne in den Kommentaren ergänzen) öffnen und entspannt lesen, wenn man die Muße dazu hat. Bei mir hat Instapaper dazu geführt, dass ich deutlich mehr lese als früher. Das passiert bei mir am häufigsten auf dem iPad, am liebsten entspannt Sonntagmorgens oder auf längeren Zugfahrten.

So, was sind eure Lieblingstools und -dienste, um Interessantes zu finden?


28 Antworten zu “Umgang mit der Informationsflut”

  1. Hallo Johannes. Schaffst Du es denn auch bei Instapaper, Dich vom Druck zu befreien, alles lesen zu müssen? Ich stoße jeden Tag auf 10-20 Texte, die ich zu »Read it later« schicke, und werde fürs Nachlesen wohl irgendwann mal ein Sabbatjahr nehmen.

      • Und was passiert dann nach dem Lesen der Instapaper Artikel weiter? Werden die uninteressanten Artikel gelöscht und die aufhebenswerten Artikel archiviert? Welches Tool zur Archivierung ist empfehlenswert?

  2. Percolate funktioniert bisher nicht wirklich für mich. Es ist eine komische Mischung aus Summify-ähnlichem Aggregator und Google-Reader-Shared-Items. Sieht super aus, hat für mich aber praktisch keinen Mehrwert. Fever, der Feedreader von dem Mint-Macher Shaun, hat bei mir das Problem, dass es sehr hohe Serverlast erzeugt. Deswegen ist der derzeit deaktiviert.

  3. sehr schöner artikel. ich glaube es fällt oft schwer sich von der verpassens-angst zu lösen, weil man fürchtet durch einen verpassten case den expertenstatus zu verlieren, weil man nicht mehr mitreden kann. wenn man das überwindet ist es echt einfacher. und der alte Trick aus der Uni sich vor dem lesen zu fragen wonach man sucht hilft auch. man geht ja auch selten in eine bibliothek um sie durchzulesen. entweder hat man einen Fokus oder greift einfach ein buch (sehr inspirierend übrigens). Vor ein paar jahren gab es den clay shirky ausspruch, dass es keinen information overload gebe nur einen filter failure.

  4. Das Thema ist schon seit Jahrhunderen das gleiche. Wir haben nunmal ne Hardware als Menschen die sich nicht verändert hat seit dem wir homo sapiens sind. Daran kann man auch nicht viel ändern, ausser auf die Evolution warten. Problem ist natürlich nur, dass unsere eigene Technologie uns inzwischen selbst überholt. Deshalb geb ich Christian recht: vielleicht ist es tatsächlich die Filterkompetenz, die uns etwas abhanden gekommen ist, bzw uns schwerer fällt. Woran das liegt? Während wir also die letzten Jahrhunderte verbracht damit verbracht haben Technologie als Hilfsmittel zu benutzen immer MEHR MATERIELL herzustellen, wird die Rolle von Technologie wahrscheinlich eher die sein, aus dem MEHR VIRTUELL (oder kognitiv) das Wichtige zu extrahieren. D.h. wir sind längst im Informationszeitalter angekommen aber wir stellen immer noch Information „her“ wie noch Produkte im Industriezeitalter: also mehr output mit der Hoffnung das der Markt die Nachfrage regelt. Information und Wissen folgt aber nicht den gleichen Regeln. Logische (und inzwischen beobachtbare) Konsequenz müsste sein, dass sich so langsam unser „Produktionsverhalten“ auch ändert und somit dem „Filterproblem“ widmet. Und hiermit wird auch eigentlich eine mögliche Rolle für uns Nasen klar: Filter Consultants.

  5. Das Thema ist schon seit Jahrhunderen das gleiche. Wir haben nunmal ne Hardware als Menschen die sich nicht verändert hat seit dem wir homo sapiens sind. Daran kann man auch nicht viel ändern, ausser auf die Evolution warten. Problem ist natürlich nur, dass unsere eigene Technologie uns inzwischen selbst überholt. Deshalb geb ich Christian recht: vielleicht ist es tatsächlich die Filterkompetenz, die uns etwas abhanden gekommen ist, bzw uns schwerer fällt. Woran das liegt? Während wir also die letzten Jahrhunderte verbracht damit verbracht haben Technologie als Hilfsmittel zu benutzen immer MEHR MATERIELL herzustellen, wird die Rolle von Technologie wahrscheinlich eher die sein, aus dem MEHR VIRTUELL (oder kognitiv) das Wichtige zu extrahieren. D.h. wir sind längst im Informationszeitalter angekommen aber wir stellen immer noch Information „her“ wie noch Produkte im Industriezeitalter: also mehr output mit der Hoffnung das der Markt die Nachfrage regelt. Information und Wissen folgt aber nicht den gleichen Regeln. Logische (und inzwischen beobachtbare) Konsequenz müsste sein, dass sich so langsam unser „Produktionsverhalten“ auch ändert und somit dem „Filterproblem“ widmet. Und hiermit wird auch eigentlich eine mögliche Rolle für uns Nasen klar: Filter Consultants.

  6. Auch für Android gibt es verschiedene Instapaper Apps, wie mir eben ein Blick in den Market verriet. Werd ich mir heute Abend am Tablet genauer ansehen. Für Summify leider noch nix, aber danke für den Tipp, auch darauf schau ich später noch genauer.

  7. Sehr schön beschrieben. Danke für die Gelegenheit zur Reflexion. Ich pflege ein ähnliches Informationsverhalten, wobei ich mich noch stärker und intuitiver darauf verlasse, dass das Wesentliche zu mir gelangt. Indem ich einfach, wenn mir gerade danach ist, in meine Streams schaue. Dieser Beitrag hier etwa war ganz oben in Google+ verlinkt, als ich nach dem Kino nochmal eben den Rechner angemacht habe. Allerdings kommt das grundsätzlich meinem Naturell entgegen, denn auf diese Weise gehe ich bereits mein ganzes Leben vor, auch das prä-digitale. Ich bin mehr ein „Überflieger“ (Betonung auf der dritten Silbe) als ein gründlicher Leser. Dadurch sehe ich sehr viel, lese mich aber nur an dem fest, was mich wirklich fesselt. Immerhin ist es mir gelungen, auf diese Weise ein Studium erfolgreich abzuschließen. 😉

  8. […] Umgang mit der Informationsflut "Summify ist ein persönlicher Aggregator. Es wertet aus, welche Links meine Kontakte auf Twitter und Facebook sowie die Feeds in meinem GoogleReader-Account posten und schickt mir zwei mal am Tag eine Mail mit den zehn am häufigsten genannten. Damit bin ich selbst in sehr stressigen Zeiten mit wenig Zeit für Informationsaufnahme nach dem Scrollen durch eine Email informiert, was mein Umfeld gerade am meisten beschäftigt." […]

  9. Read It Later und Instapaper haben mir nicht so zugesagt. Ich verwende jetzt Memonic. Der Web Clipper ist genial und das iPad App gut gemacht.

  10. Ich nutze „Read It Later“ auf Anroid, und ich muss sagen, es hat mein Leseverhalten komplett verändert. Sowohl Webseiten als auch Einträge im Google Reader, von Tweetdeck oder von wo auch immer werden sehr schnell für’s spätere Lesen abgelegt, das ist also mein Tool, um aus dem Fluss die lesenswerten Leckerbissen herauszufiltern. Ich schaffe es (noch?), meinen Google Reader komplette durchzuscannen. Das geht schnell, lesenswerte Sachen landen mit einem Tastendruck bei Read It Later und der Rest fliegt sofort raus. Nie Dinge zweimal ansehen. Und auch meine Read It Later-Einträge lese ich alle oder markiere sie wenigstens aktiv (ungelesen) als gelesen. Ich brauche das noch so ;o) Das schaffe ich nur deshalb, weil manche Themen natürlich mit der Zeit verblassen, und genau dafür ist so ein Tool mit einer gewissen Latenz zwischen Finden und Lesen hilfreich: Ein Thema interessiert mich gerade, wenn ich es entdecke. Ist es ein paar Tage alt und ich hab Zeit zu lesen, kann es gut sein, dass es (auch im Kontext anderer Einträge) so an Wichtigkeit verloren hat, dass ich es getrost endgültig und ungelesen wegklicke. Ähnlich bei Facebooknachrichten und Tweets: Je mehr ungelesene da sind, desto schneller und oberflächlicher fahre ich darüber, desto größer also die „Gefahr“, etwas zu verpassen. Richtig wichtige Dinge tauchen aber vermutlich mehrmals auf, oder eben von Leuten, denen ich auch beim Überfliegen automatisch mehr Aufmerksamkeit schenke.

    Zum Thema Mail: Da finde ich es fatal, die Angst, etwas zu verpassen, abzulegen. Ich sehe Mails immer noch als Verpflichtung, ähnlich wie den echten Briefkasten. Natürlich landen da auch Dinge, denen ich mich nicht widmen muss. Aber persönlich adressierte Post sollte ich zumindest zur Kenntnis nehmen. Und andere Dinge versuche ich aus dem Postfach zu verbannen, z.B. gen Feedreader.

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