Zukünfte verstehen und gestalten

Die Arroganz der Agenturen


Ich bin jetzt seit gut zwei Jahren im Agenturgeschäft unterwegs und versuche Mitarbeitern und Kunden dafür zu begeistern, was sich mit Social Media verändert und was das für sie ermöglicht. Leider bedeutet das viel zu häufig, das zu erleben, was Martin Oetting in seinem offenen Brief an die Werbekreativen beschreibt.

„Gegenüber all den Werbern, die das so sehen – die sich in den Kreativabteilungen der Agenturen das Maul zerreißen, über Loser-Blogs und schlechten Schreibstil auf Facebook oder Twitter, über wackelige Videos und pink leuchtende MySpace-Profile, die dort mangelnden Geschmack oder Stil (oder beides) belachen – würde ich mich gern kurz äußern. Denn einerseits habe ich das allergrößte Verständnis für Ihre wahrlich schwierige Lage: Sie haben Ihre Jobs gewählt, weil Sie sich dafür begeistern, knappe punktgenaue Texte und starke bedeutungsvolle Bilder zu entwerfen. Plakate. Anzeigen. Werbefilme. Die Werbebranche ist jahrzehntelang auf genau Ihren Menschenschlag angewiesen und vorbereitet gewesen, hat sogar einen eigenen Verein dafür gegründet. Da will ich nun gern einsehen, dass es schwer zu ertragen ist, wenn nach und nach, Schritt für Schritt, Blog für Blog, ganz andere und eher normalsterbliche Schreiber und Bildermacher immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen – mit Texten, die so gar nicht dem werblichen Verständnis von medialer Kreativität entsprechen. Mit Bildern, die sich für keine Pitch-Präsentation eignen.“

„Wenn Sie meinen, dass all diese Menschen und all die anderen, die das Web für sich und ihre ganz eigenen Ideen und Projekt entdeckt haben (dazu deren Freunde, Familien, Bekannten), nichts als Loser sind, dann bedeutet das letztlich, dass Sie Ihre Kunden für Loser halten. Dass Sie keinen Respekt vor denen haben, für die Sie letztlich texten und bildern. Wie kann man aber für Menschen arbeiten, die man nicht respektiert? Die man überhaupt nicht mag? Wie kann man sie verstehen und erreichen? Und auch die Werbekunden werden – über kurz oder lang – merken, wie Sie denken. Das wird unschöne Folgen haben. Vielleicht sollte ich noch deutlicher werden: sie merken es bereits jetzt. Und die Menschen interessieren sich immer weniger für das, was da als kreative Glanzleistung im kleinen Kreis gefeiert, im großen aber ignoriert wird. Vielmehr beginnen sie sich zu ärgern – wegen dieser Arroganz gegenüber den „Losern“, die einfach nur Menschen sind, die das öffentlich sagen, was ihnen so durch den Kopf geht. Ganz so, wie das ihr gutes Recht ist.“

Martins Worte lesen sich teilweise wie eine wortwörtliche Wiedergabe der Gedanken, die mir in den letzten Monaten immer wieder durch den Kopf gegangen sind. Die Arroganz, mit der in der brökelnden Werbewelt auf das Social Web reagiert wird, macht mich wahnsinnig.

Ich weiß nicht, ob es ein typisch deutscher Charakterzug ist, auf Wandel mit Ablehnung zu reagieren. Aber ich kann schon jetzt erahnen, wie sehr Andrew Keens Buch „Die Stunde der Stümper“ in den nächsten Wochen als willkommenes Argumentationsmaterial gegen den „Loser generated content“ dienen wird. Keen vertritt die Meinung, dass das Internet uns dumm macht und wir wieder die alten Experten brauchen, die uns sagen, wie die Dinge stehen und funktionieren. Ich rufe gerne noch mal das Zitat von Tim O’Reilly beim Blogger-Roundtable auf der Web 2.0 Expo Europe ins Gedächtnis.

Das Problem bei dieser ganzen Argumentationsweise sowohl der Werbeindustrie als auch der von Andrew Keen ist die Schwarz-Weiß-Sicht der Dinge. Es ist ja bei weitem nicht so, dass user-generated content und die Weisheit der Masse die Lösung aller Probleme und Herausforderungen ist. Aber trotzdem gibt es viele Fälle, wo sie bessere Ergebnisse liefern. Und genau hier liegt die Herausforderung für uns. Wir müssen genau identifizieren, wo wir Experten brauchen und wo wir auf die Masse setzen. Beides miteinander zu vereinen ist die große Herausforderung und Chance, vor der wir aktuell stehen.

Wenn wir z.B. verstehen, dass wir nach wie vor gute IAs und Designer brauchen, um Systeme zu entwickeln, auf denen die User-Beteiligung so einfach und effektiv wie möglich funktioniert, sind wir schon mal ein gutes Stück weiter. Es wird auch in Zukunft immer großen Bedarf an guten Ideen geben. Aber um diese Chancen zu begreifen, müssen wir als Werber zuerst unsere Arroganz loswerden.

Wie das im Idealfall aussehen kann, durfte ich gerade auf der Web 2.0 Expo Europe in Berlin beobachten. Vor einem Jahr kamen die Organisatoren von O’Reilly und Techweb sehr überheblich aus den USA und vermittelten mehr das Gefühl, die Überbringer der frohen Web-2.0-Botschaft an die Eingeborenen zu sein. Nach massiver Kritik und durch die Finanzkrise tief in ihrem Selbstbewusstsein angekratzt, kamen sie dieses Jahr quasi geläutert und bescherten uns eine der besten Konferenzen dieser Saison (mehr dazu von mir auf Berlinblase), in dem sie sich auf ihre Stärken besannen und uns unterstützten, wo sie konnten.

Die Auswirkungen der Finanzkrise, die in den USA schon viel präsenter sind als bei uns, werden auch vor der Werbebranche in Deutschland nicht halt machen. Aus meiner Sicht besteht hier eine riesige Chance, Arroganz abzulegen, sie den neuen Umständen anzupassen und gestärkt aus dieser Phase herauszugehen. Krisen sind tough, aber sie bieten immer die Chance, all den alten Balast abzulegen und wieder agil zu werden. Uns stehen spannende Zeiten bevor. Die Frage ist, ob mich die Angst lähmt oder die Herausforderung motiviert.

Nachtrag: Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass die Agenturbranche an sich Müll oder dem Untergang geweiht ist. Ganz im Gegenteil. Ich bin immer noch sehr bewusst Mitarbeiter einer Marketingagentur und versuche von innen heraus meinen Teil dazu beizutragen, dass die Herausforderungen begriffen werden. Genau deshalb gehe ich mit der Branche manchmal vielleicht etwas harsch ins Gericht. Gleichzeitig versuche ich aber auch zu praktizieren, was ich predige und bin sehr dankbar für eine Agentur, in der das möglich ist und gewürdigt wird.

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13 Antworten zu “Die Arroganz der Agenturen”

  1. So sehr ich dir in vielen Punkten zustimme…ich glaube, die Agenturen selbst schalten langsam. Wer oft nicht schaltet, sind die Mitarbeiter. Und das wird bei einem Alter jenseits der 30 auch noch eine Weile dauern, bis da alle Neuerungen angekommen sind

  2. Ach, und noch was. Wenn ich unseren eigenen Arbeitgeber so ansehe, scheinen die gar nicht alle so schrecklich arrogant zu sein. Ich meine, dass bei Jung von Matt die Uhren etwas anders drehen, ist klar…

  3. Ich glaub das liegt mit an der Werbung an sich. Wir gehen immmer mit der selben Taktik in solche Dinge zb. Internet erst wird versucht genau das selbe zu machen wie in der Print und TV Werbung und danach etwas völlig anderes. In der Phase befinden wir uns momentan es wird viel ausprobiert fast zuviel und da Agenturen auch sehr viel mit dem Tagesgeschäft beschäftigt sind haben die meisten vielleicht nicht ein allzu offenes Ohr für neuen Dinge oder haben Angst Kunden zu verlieren. Wie war es mit der „Second Life“ Welle erst als es überall Präsent waren sind die Agenturen aufgesprungen und es wurden für fast jede größere Marke eigene Welten und Shops erschaffen.. viel zu spät vllt auch einfach das falsche Medium. Viele Agenturen springen erst auf solche Trends auf wenn es zu spät ist oder erkennen nicht das es nur eine Blase ist Second Life war ja nur marginal erfolgreich wenn man es in den Vergleich mit der Medienpräsenz stellt oder hat wer von euch gespielt? Ich glaube gerade jetzt ist die Chance für Freelancer sehr hoch die sich spezialisieren und so den Agenturen echten Mehrwert zu bestimmten Themen liefern. Doch die Agenturen müssen dazu den ersten Schritt machen und darauf warten wir momentan noch alle 🙂

  4. Bis zu dem offenen Brief habe ich von der „Arroganz“ der Agenturen nichts mitbekommen.

    Meiner bescheidenen Erfahrung nach sind sie ziemlich tough was das Web angeht, aufgeschlossen und sich der Möglichkeiten bewusst.

    Das virale Marketing umfasst halt sehr viele Zielgruppen, nicht nur die U30. Wenn man sich die Gesellschafter.de ansieht merkt man wieviel content da von den Ü60 jährigen kommt.

    Wer sich seiner Stärken bewusst ist und sein Angebot entsprechend anpasst wird sich im Web 2.0 gut positionieren.

  5. Ich muss sagen, dass ich Deine und Martins Ausführungen alle sehr gut nachvollziehen kann – als jemand dem der Agenturbetrieb nun auch nicht fremd ist.

    Dass das soweit ausgeartet ist, dass man schon von „Loser Generated Content“ spricht – und man das sogar in aller Öffenlichkeit von sich gibt – hat mich wirklich tief schockiert. Wie nennt man das nochmal: „Angstbeißer“, oder?

    Das einzige was mich diesbezüglich optimistisch stimmt ist die Tatsache, dass ja auch auf Kundenseite Menschen (ich meine die Kunden der Agenturen) sitzen, die in der Lage sind sich selbst ein Bild über die Veränderungen zu machen und da auch durchaus eine andere Brille aufhaben, als die Agenturjungs.

    Somit hoffe ich mal, dass die entsprechenden Leute – die nicht in der Lage sind auf Veränderungen angemessen und mit Gesonnenheit zu reagieren und lieber in Protektismus verfallen – sich letzten Endes selbst disqualifizieren 😉

    So

  6. Ich kann mich Christian eigentlich nur anschließen. Der große Second Life Flop hat den Agenturen vor Augen geführt, wie schwierig es ist, den schnellebigen Hype vom längerfristigen Trend zu unterscheiden – über ein Voraussehen wollen wir gar nicht erst reden. Das Platzen der New Economy Blase ist Vielen noch zu gut in Erinnerung, als daß man allzuweit vorpreschen will. Denn auch auf diese Weise kann man den Anschluß zum Hauptfeld verlieren – nicht nur, indem man hinterherhinkt.

    Meiner Meinung nach ist es alles andere als die zentrale Aufgabe von Werbeagenturen, die Speerspitze von etwas zu bilden. Egal, was es ist. Werbung ist Mainstream, nicht Avantgarde. Was natürlich nicht heißt, daß man sich als Agentur keinen Vorsprung gegenüber seinen konkurrierenden Wettbewerbern zu sichern versuchen sollte. Hier hängt meiner Meinung nach (der ich immerhin auch in dieser Branche mein Geld verdiene) viel von der Kundenstruktur der jeweiligen Agentur ab. Für bestimmte Unternehmen ist das einfach (noch) nichts, Hinweis auf „Gesellschafter.de“ hin oder her. Andere, für die es infrage käme, wollen damit nichts zu tun haben; auch wenn die letztlich dahinterstehende Begründung, die Angst vor der eigenen Kundenmacht, in die völlig falsche Richtung geht.

    Das Arroganzargument sei dahingestellt. Geschenkt. Wenn es wirklich nötig sein sollte, die Welle tatsächlich irgendwann bricht, dannwird die Branche schon irgendwie reagieren. Es wird Veränderungen geben, aber es wird kein Untergang sein.

    Ob ich die Infiltrierung des sogenannten Web 2.0 durch immer subtilere Werbeformen denn auch tatsächlich begrüßenswert finde, das steht auf einem anderen Blatt. Äh, einer anderen Site.

  7. So sehr ich Martins Beitrag fuer wichtig halte, weil er aufruettelt und zum nachdenken anregt, so sehr find ich, dass er zu pauschal mit „allgen Agenturen“ ins Gericht geht. Es ist aber auch schwierig etwas so zu formulieren, dass es viel herum gereicht wird und gleichzeitig allen Beteiligten gegenueber fair zu bleiben. ,)

    Ja, es gibt noch sehr viele Bereiche, wo die Bedeutung des Netzes nicht vollkommen angelangt ist bzw. ich wuerde es sogar anders formulieren: Die meisten haben Begriffen, dass Internet nicht mehr verschwinden wird, wenn sie lang genug die Augen zu halten aber sie haben immer noch nicht gelernt, wie das Internet unser Leben tatsaechlich veraendert hat.

    Auch die Eifelturm-Agenturen wie JvM haben bereits sehr viele, sehr gute Erfahrungen mit dem Netz gemacht. Deswegen wuerde ich nicht nur auf die großen schimpfen, weil die oft nach Außen den falschen Eindruck vermitteln. Innen sieht es dann schon wieder anders aus …

    Das die Finanzkrise auch etwas „reinigendes“ haben wird, denk ich auch und hoffe, dass aus der Durststrecke, die vielen Agenturen noch bevorstehen wird, auch etwas Positives am Ende rauskommt.

  8. Hi.

    Sicherlich kann man nicht alle Agenturen über einen Kamm scheren.

    Meiner Erfahrung nach sind es jedoch die Mitarbeiter, die die größte Affinität zu neuen Themen aufweisen. Sei es im Web oder sonstige Trends betreffend. Nur finden diese leider oftmals kein Gehör. In einer gängigen Kreativunit Hierarchie hat man die Praktikanten und Screen/ Grafikdesigner (die jüngsten im Glied)…die sind meistens ziemlich tough…müssen aber neue Ideen dem Art Director (5 Jahre älter) und dieser wiederum dem Creative Director vorlegen (noch älter…arroganter/ignoranter) präsentieren. An diesen beiden vorbeizukommen ist schon extrem schwierig, da Arroganz, Eitelkeit und politische Interessen meistens vorherrschen. Wenn man ganz viel Glück hat und diese beiden deine neuen Web 2.0igen Ideen aufgreifen (oder als ihre eigenen verkaufen…die gängigere Variante) muss man im internen Pitch vor die GF’s treten…die sind so alt und so weit Weg von neuen Dingen das man spätestens hier scheitert.

    Ich habe selbst jahrelang in Agenturen gearbeitet und mich hat genau diese interne politische Kriegsführung dermaßen angekotzt das sie mich zum Ausstieg bewegt hat aus der Agenturszene. Ich habe dort zuletzt nur noch Stillstand erlebt.

  9. Zynismus und Verachtung, besonders gegen jene, die das eigene „Werk“ relativieren, ist unter den Werbern an der Tagesordnung. Diese Wesenszüge sind schließlich der einfachste Schutzwall gegen das Gefühl, dass der Zug ohne einen unterwegs ist. Dennoch gebe ich meinen Vorrednern Recht: Die meisten Agenturen sind den neuen Trends gegenüber aufgeschlossen. Nur müssen dafür eben neue Mitarbeiter her.

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